Verheiratet waren sie leider nochimmer nicht; aber sie waren längst ineinem Alter, in dem man sich bescheidet,denn Friederike, die Älteste, hatte siebzehnJahre vor Herrn Friedemann voraus.Sie und ihre Schwester Henriettewaren ein wenig zu lang und dünn,während Pfiffi, die Jüngste, allzu kleinund beleibt erschien. Letztere übrigenshatte eine drollige Art, sich bei jedemWorte zu schütteln und Feuchtigkeitdabei in die Mundwinkel zu bekommen.
Der Tausch schien übrigens nichtübel zu sein, denn der neue Oberstlieutenant,der verheiratet aber kinderloswar, mietete in der südlichen Vorstadteine sehr geräumige Villa, woraus manschloss, dass er ein Haus zu machengedachte. Jedenfalls wurde das Gerücht,er sei ganz ausserordentlich vermögend,auch dadurch bestätigt, dass er vierDienstboten, fünf Reit- und Wagenpferde,einen Landauer und einen leichtenJagdwagen mit sich brachte.
heirate dich selbst pdf 12
Die Herrschaften begannen bald nachihrer Ankunft bei den angesehenenFamilien Besuche zu machen, und ihrName war in aller Munde; das Hauptinteresseaber nahm schlechterdings nichtHerr von Rinnlingen selbst in Anspruch,sondern seine Gattin. Die Herren warenverblüfft und hatten vorderhand nochkein Urteil; die Damen aber waren geradeherausnicht einverstanden mit demSein und Wesen Gerdas von Rinnlingen.
Als das Klingelzeichen erscholl undseine Nachbarn wieder eintraten, fühlteer, dass Frau von Rinnlingens Augenauf ihm ruhten, und ohne es zu wollen,erhob er den Kopf nach ihr. Als ihreBlicke sich trafen, sah sie durchausnicht beiseite, sondern fuhr fort, ihnohne eine Spur von Verlegenheit aufmerksamzu betrachten, bis er selbst,bezwungen und gedemütigt, die Augenniederschlug. Er ward noch bleicherdabei, und ein seltsamer, süsslichbeizender Zorn stieg in ihm auf ...Die Musik begann.
Gegen Ende dieses Aufzuges geschahes, dass Frau von Rinnlingen sich ihrenFächer entgleiten liess und dass derselbeneben Herrn Friedemann zu Bodenfiel. Beide bückten sich gleichzeitig,aber sie ergriff ihn selbst und sagtemit einem Lächeln, das spöttisch war:
Ihre Köpfe waren ganz dicht beieinandergewesen, und er hatte einenAugenblick den warmen Duft ihrerBrust atmen müssen. Sein Gesicht warverzerrt, sein ganzer Körper zog sichzusammen, und sein Herz klopfte sogrässlich schwer und wuchtig, dass ihmder Atem verging. Er sass noch eine halbe Minute, dann schob er den Sesselzurück, stand leise auf und ging leisehinaus.
Er wandte sich zur Seite und blickteauf die stille Strasse hinaus. Dann undwann klangen Schritte auf und halltenvorüber. Die Sterne standen undglitzerten. Wie todmüde und schwacher wurde! Sein Kopf war so leer, undseine Verzweiflung begann, in einegrosse, sanfte Wehmut sich aufzulösen.Ein paar Gedichtzeilen flatterten ihmdurch den Sinn, die Lohengrin-Musikklang ihm wieder in den Ohren, er sahnoch einmal Frau von Rinnlingens Gestalt vor sich, ihren weissen Armauf dem roten Sammet, und dann verfieler in einen schweren, fieberdumpfenSchlaf.
Was ging eigentlich in ihm vor, beidem, was nun geschah? Vielleicht war esdieser wollüstige Hass, den er empfundenhatte, wenn sie ihn mit ihrem Blickedemütigte, der jetzt, wo er, behandeltvon ihr wie ein Hund, am Boden lag,in eine irrsinnige Wut ausartete, die erbethätigen musste, sei es auch gegensich selbst ... ein Ekel vielleicht vorsich selbst, der ihn mit einem Durst erfüllte,sich zu vernichten, sich in Stückezu zerreissen, sich auszulöschen ...
Erinnerst du dich des anmutigen undflammend zärtlichen Geschöpfes unterdem Sammethimmel von Lissabon? Essind zwölf Jahre, dass sie dir das Kindschenkte und starb, während ihr schmalerArm um deinen Hals lag.
Ich bin tief ergriffen, und in meineBewegung mischt sich ein Gefühl vonTriumph. Manchmal, wenn ich darandachte, und man mich zweifelnd undängstlich ansah, habe ich gesehen, dassman mich für wahnsinnig hielt, und ichhabe mich selbst mit Argwohn geprüft.Ach nein! Ich bin nicht wahnsinnig.
Paolo hatte, während ich den Herrschaftenüber meine Person die nötigenAufschlüsse erteilte, ein paar gedämpfteWorte mit der Baronesse gewechselt, der er dicht gegenüber sass. Die seltsamgespannte Ruhe, die ich vorhinan ihm beobachtet hatte, war keineswegsvon ihm gewichen. Er machte,ohne dass ich genau zu sagen vermöchte,woran es lag, den Eindruckeines sprungbereiten Panthers. Diedunklen Augen in dem gelblichen,schmalen Gesicht hatten einen so krankhaftenGlanz, dass es mich nahezu unheimlichberührte, als er auf die Fragedes Barons im zuversichtlichsten Toneantwortete:
Er selbst stand hoch aufgerichtet amFenster und liess nicht ab, unbeweglichhinauszublicken, als ich mit einem erstauntenAusruf stehen blieb. Dannwandte er sich kurz, streckte mir einenBrief hin und sagte nichts als:
Da begegnete ich ihm, und ichhabe ihn, während ich schreibe, mitausserordentlicher Deutlichkeit vorAugen. Er war kaum mittelgross undging schnell und gebückt, während erseinen Stock mit beiden Händen aufdem Rücken hielt. Er trug einenschwarzen, steifen Hut, hellen Sommerüberzieherund dunkelgestreifte Beinkleider.Aus irgend einem Grunde hieltich ihn für einen Engländer. Er konntedreissig Jahre alt sein, vielleicht auchfünfzig. Sein Gesicht, mit etwas dickerNase und müdeblickenden, grauen Augen,war glattrasiert, und um seinen Mundspielte beständig ein unerklärliches undein wenig blödes Lächeln. Nur vonZeit zu Zeit blickte er, indem er dieAugenbrauen hob, forschend um sichher, sah dann wieder vor sich zu Boden,sprach ein paar Worte mit sich selbst,schüttelte den Kopf und lächelte. Soging er beharrlich den Platz auf undnieder.
An dem Abend, den ich im Sinnehabe, hatte eine Militärkapelle konzertiert.Ich sass an einem der kleinenTische, die das Café Florian weit aufden Platz hinausstellt, und als nachSchluss des Konzertes die Menge, diebis dahin in dichten Strömen hin undwieder gewogt war, sich zu zerstreuenbegann, nahm der Unbekannte, auf abwesendeArt lächelnd wie stets, an einemneben mir freigewordenen Tische Platz.
Ich las, indem ich meinem Nachbarden Rücken zuwandte, in meiner Zeitungund war eben im Begriff, ihn allein zulassen, als ich mich genötigt sah, michhalb nach ihm umzuwenden; denn währendich bislang nicht einmal das Geräusch einer Bewegung von ihm vernommenhatte, begann er plötzlich zusprechen.
Ich erinnere mich, mein Herr, mit einertraurigen Deutlichkeit der ersten Enttäuschungmeines Lebens, und ich bitteSie, zu bemerken, dass sie keineswegsin dem Fehlschlagen einer schönenHoffnung bestand, sondern in dem Eintritteines Unglücks. Ich war beinahenoch ein Kind, als ein nächtlicher Brandin meinem väterlichen Hause entstand.Das Feuer hatte heimlich und tückischum sich gegriffen, bis an meine Kammerthürbrannte das ganze kleine Stockwerk,und auch die Treppe war nichtweit entfernt, in Flammen aufzugehen.Ich war der erste, der es bemerkte, undich weiss, dass ich durch das Hausstürzte, indem ich einmal über dasandere den Ruf hervorstiess: Nun brenntes! Nun brennt es! Ich entsinne michdieses Wortes mit grosser Genauigkeit,und ich weiss auch, welches Gefühl ihmzu Grunde lag, obgleich es mir damalskaum zum Bewusstsein gekommen sein mag. Dies ist, so empfand ich, eineFeuersbrunst; nun erlebe ich sie!Schlimmer ist es nicht? Das ist dasGanze?...
Gott weiss, dass es keine Kleinigkeitwar. Das ganze Haus brannte nieder,wir alle retteten uns mit Mühe ausäusserster Gefahr, und ich selbst trugganz beträchtliche Verletzungen davon.Auch wäre es unrichtig, zu sagen, dassmeine Phantasie den Ereignissen vorgegriffenund mir einen Brand desElternhauses entsetzlicher ausgemalthätte. Aber ein vages Ahnen, eine gestaltloseVorstellung von etwas nochweit Grässlicherem hatte in mir gelebt,und im Vergleich damit erschien dieWirklichkeit mir matt. Die Feuersbrunstwar mein erstes grosses Erlebnis:eine furchtbare Hoffnung wurdedamit enttäuscht.
Es ist dunkel, und Sie hören mirkaum noch zu; darum will ich es mirheute noch einmal gestehen, dass auchich, ich selbst es einst versucht habe,mit diesen Menschen zu lügen, um michvor mir und den anderen als glücklichhinzustellen. Aber es ist manches Jahrher, dass diese Eitelkeit zusammenbrach,und ich bin einsam, unglücklichund ein wenig wunderlich geworden,ich leugne es nicht.
Ich las viel, las alles, was mir erreichbarwar, und meine Eindrucksfähigkeitwar gross. Jede dichterische Persönlichkeitverstand ich mit dem Gefühl,glaubte in ihr mich selbst zu erkennenund dachte und empfand so lange indem Stile eines Buches, bis ein neuesseinen Einfluss auf mich ausgeübt hatte.In meinem Zimmer, in dem ich ehemalsmein Puppentheater aufgebaut hatte, sassich nun mit einem Buch auf den Knieenund blickte zu den beiden Vorfahrenbildernempor, um den Tonfall derSprache nachzugeniessen, der ich michhingegeben hatte, während ein unfruchtbaresChaos von halben Gedanken undPhantasiebildern mich erfüllte ...
Meine Schwestern hatten sich kurznacheinander verheiratet, und ich ging,wenn ich nicht im Geschäft war, oft insWohnzimmer hinunter, wo meine Mutter,die ein wenig kränkelte, und derenGesicht stets kindlicher und stillerwurde, nun meistens ganz einsam sass.Wenn sie mir Chopin vorgespielt undich ihr einen neuen Einfall von Harmonien-Verbindunggezeigt hatte, fragtesie mich wohl, ob ich zufrieden in meinemBerufe und glücklich sei .... KeinZweifel, dass ich glücklich war.
Ich war nicht viel älter als zwanzigJahre, meine Lebenslage war nichts alsprovisorisch, und der Gedanke war mirnicht fremd, dass ich ganz und garnicht gezwungen sei, mein Leben beiHerrn Schlievogt oder in einem Holzgeschäftenoch grösseren Stils zu verbringen,dass ich mich eines Tages freimachen könne, um die giebelige Stadtzu verlassen und irgendwo in der Weltmeinen Neigungen zu leben: gute undfeingeschriebene Romane zu lesen, insTheater zu gehen, ein wenig Musik zumachen ... Glücklich? Aber ich speistevorzüglich, ich ging aufs beste gekleidet,und früh bereits, wenn ich etwa währendmeiner Schulzeit gesehen hatte, wie armeund schlecht gekleidete Kameraden sichgewohnheitsmässig duckten und mich und meinesgleichen mit einer Artschmeichlerischer Scheu willig als Herrenund Tonangebende anerkannten, war ichmir mit Heiterkeit bewusst gewesen,dass ich zu den Oberen, Reichen, Beneidetengehörte, die nun einmal dasRecht haben, mit wohlwollender Verachtungauf die Armen, Unglücklichenund Neider hinabzublicken. Wie sollteich nicht glücklich sein? Mochte allesseinen Gang gehen. Fürs erste hattees seinen Reiz, sich fremd, überlegenund heiter unter diesen Verwandten undBekannten zu bewegen, über deren Begrenztheitich mich moquierte, währendich ihnen, aus Lust daran, zu gefallen,mit gewandter Liebenswürdigkeit begegneteund mich wohlgefällig in demunklaren Respekte sonnte, den allediese Leute vor meinem Sein und Wesenerkennen liessen, weil sie mit Unsicherheitetwas Oppositionelles und Extravagantesdarin vermuteten. 2ff7e9595c
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